Freie Ferse

Johanna Holzmann aus Oberstdorf ist eine der besten Telemark-Skifahrerinnen der Welt – Sie sicherte sich zum Auftakt der Junioren-WM im französischen Les Contamines-Montjoie das zehnte Gold ihrer Karriere.
Sie hatte sich aus dem Starthaus katapultiert, war im eleganten Ausfallschritt um die Slalomstangen gekurvt, war weit gesprungen und am Ende ins Ziel gespurtet, und nur zwei waren schneller als sie. Johanna Holzmann, 20, deutsche Profi-Telemarkerin, kletterte also beim Weltcup im französischen La Plagne auf das Siegerpodest, der Lohn: gerade einmal 100 Euro. Doch Holzmann freut sich, sie sagt: „Ich kann es für die Übernachtung beim nächsten Weltcup gebrauchen.“ Schon im alpinen Weltcup gibt es nicht das ganz große Geld, nur die Besten können davon gut leben. Im Telemark aber, sagt Holzmann, müssten sie sogar die Liftkarten selbst bezahlen.
Als Kind träumte die Oberstdorferin von einer Karriere als Alpine. Sie durchlief die Nachwuchs-Kader, galt als Talent. Nur ihr Knie sträubte sich. Alle paar Monate sprang ihre Kniescheibe heraus, jedes Mal musste sie pausieren. „Irgendwann habe ich aufgegeben“, sagt sie. Eine Operation rettete zwar das Knie, die Skikarriere musste Holzmann aber ruhen lassen. Wer einmal den Anschluss verliert, kommt nur schwer wieder heran. Es war ihre Familie, die Holzmann zum Telemarken brachte. Das Knie war verheilt, sie versuchte sich im heimischen Oberstdorf. Der Sport gefiel ihr. „Man ist näher am Schnee als mit Alpinski“, sagt sie. „Wenn der Ski hoch fliegt, hat man ihn im Gesicht. Das ist wunderbar!“ Außerdem sei da noch die Sache mit der freien Ferse.
Etwa 150 Jahre ist es her, da tüftelte ein Norweger an seinen Ski. Zwar war Sondre Norheim schon der beste Skifahrer seiner Region, er wollte aber noch lockerer die Kurven fahren. Das ging besser, so stellte er fest, wenn er den Talski nach vorneschob und den Bergski nach hinten. Doch dazu durfte der Schuh nicht fest auf dem Ski kleben, die Ferse musste schweben. Als Norheim seine Entwicklung präsentierte, wurde sie nach seiner Heimat benannt: Telemark. Zwar verschwand der stilprägende Ausfallschritt bald wieder von den Hängen, doch von den USA aus eroberte er in den 70er Jahren als Retrotrend die Skiwelt. Die Telemarker nannten sich nun „Freeheeler“ – Freifersler. Ihr Stil wurde zur Hommage an die Eleganz des Skisports.
Wenn Johanna Holzmann sich im Wettkampf auf die Piste stürzt, geht es nur bedingt um Ästhetik. Es zählt die Zeit Basis aller Wettkämpfe ist ein handelsüblicher Riesenslalom. In der Mitte des Parcours wartet eine Schanze, vor dem Ziel ein Steilwand-Kreisel und eine kurze Langlauf-Strecke. Torrichter überprüfen, ob die Sportler den Stil korrekt ausführen und ob sie beim Sprung eine Mindestweite erreichen; falls nicht, gibt es Strafsekunden.
Bei Rennen zahlt sie für Liftkarte, Startgebühr, Unterkunft, Essen
Lange dauerte es nicht, bis aus der Anfängerin Holzmann ein Profi wurde. Die neue Technik passte gut zu ihrem Fahrstil, die Konkurrenz war nicht so groß wie bei den Alpinen. Durch gute Leistungen empfahl sie sich für den Weltcup und die Junioren –WM. Von 13 WM-Rennen gewann sie neun, zuletzt in Steamboat Springs, USA. In dieser Saison will Holzmann auch im Weltcup ganz vorne landen. Leicht wird das nicht: Seit Jahren gewinnt die Schweizerin Amelie Reymond jedes Rennen, sie ist die Überfigur des Sports. „Ich habe sie in einzelnen Läufen geschlagen, aber noch nie in einem ganzen Rennen“, sagt Holzmann. Die Zeit spricht für die Deutsche –sie ist acht Jahre jünger als ihre Konkurrentin.
Auf finanzielle Hilfe des Deutschen Skiverbands braucht Holzmann beim Erreichen dieses Ziels erst mal nicht zu hoffen. Bei Skirennen muss sie sich ein sogenanntes Renn-Package kaufen. Darin enthalten: Startgebühr, Liftkarte, Unterkunft, Mahlzeit. Kostenpunkt: rund 100 Schweizer Franken pro Tag. Der Verband bezahlt bei Rennen lediglich Busmiete und Tank, im Training fallen auch diese Kosten auf die Läufer ab. Holzmann spricht nicht so gerne über Geld. „ Wir machen den Sport aus Leidenschaft, da nimmt man das Geld gerne in die Hand“, sagt sie.
Eine Chance auf bessere Förderung gibt es aber noch – dazu müsste der Sport 2022 olympisch werden. Um das zu schaffen, wird Holzmann im Februar zu den Youth Olympic Games nach Lillehammer fliegen. Dort wird sie an Demonstrationswettkämpfen teilnehmen. Sie wird elegant fahren, möglichst weit springen, schnell spurten. „Je besser wir uns präsentieren, desto eher wird der Sport vielleicht olympisch“, sagt sie. Den Flug wird sie selbstverständlich selbst bezahlen.
Text: Marius Buhl
Telemarkerin Holzmann macht WM-Triple perfekt
Bei der Junioren-Weltmeisterschaft im französischen Les Contamines-
Montjoie hat Johanna Holzmann (SC Oberstdorf) erneut das Triple perfekt gemacht. Nach Gold im Parallel-Sprint und im Sprint gewann sie zum Abschluss auch die Disziplin Classic. Auch zwei Classic-Weltcup-Rennen wurden Les Contamines-Montjoie gefahren. Hier belegte Holzmann Rang drei hinter Amelie Reymond und Beatrice Zimmermann (beide Schweiz).