Der Teufels Geiger
Mit Einzelsilber und Mannschafts-Gold übertrifft der Oberstdorfer Karl Geiger seine eigene Erwartungen – und auch die seiner Teamkollegen
Der Oberstdorfer Skispringer Karl Geiger hat neben Doppelweltmeister Markus Eisenbichler dem ersten Wochenende in Seefeld den Stempel aufgedrückt. Am Samstag belegte der 26-Jährige bei seiner WM-Premiere Platz zwei und war nach dem Überreichen der Silbermedaille auf der Medals Plaza von Seefeld „hin und weg“. Sein Freudensprung aufs Podest war für den zweifachen Weltcup-Sieger in dieser Saison (Engelberg und Willingen) mehr als ein Befreiungsschlag. Nach zahlreichen Interviews nahm sich Geiger noch die Zeit und erfüllte bei Minusgraden geduldig Autogramm-Wünsche. Dass ehemalige Kameraden aus der Oberstdorfer Grundschule ihm plötzlich von Weitem riefen, war eine der größten Überraschungen für Geiger. Im Teamhotel teilte er sich mit Zimmerkollege Eisenbichler noch ein Weißbier, um dann früh schlafen zu gehen.
Bei der Siegerehrung des Team-Bewerbs rockte der Teufels-Geiger aus dem Allgäu die Bühne neben dem hell erleuchteten Seefelder Seekirchl ein zweites Mal. Bevor sie von DOSB-Präsident Alfons Hörmann die Goldmedaille umgehängt bekamen, trug Geiger den Wahl-Allgäuer Richard Freitag auf den Schultern Richtung Bühne, Stephan Leyhe tat es ihm mit Markus Eisenbichler gleich. Besser hätte das DSV-Quartett seinen Zusammenhalt nicht demonstrieren können.
Im Interview mit unserer Zeitung sagte Geiger, er sei nach dem Erfolg von Samstag „gut sortiert“ an die Bergisel-Schanze in Innsbruck gegangen. Dass er im Probedurchgang noch kleine Probleme hatte, sei vielleicht ganz gut gewesen. „Ich hab’ mich noch mal extra konzentriert.“ Im Wettkampf habe er es dann „einfach laufen lassen und draufgehauen. Das war genial“. Die Startnummer „11-1“ war für Geiger keine Bürde, seine Sprünge auf 129 und 130 Meter bedeuteten die beste Punktausbeute der gesamten Konkurrenz – und letztlich auch Rang eins mit dem Team, mit 56,6 Punkten vor Österreich. Warum seine Sprünge plötzlich so konstant gut sind, konnte Geiger nicht erklären: „Ich habe keine Ahnung, was genau da jetzt passiert ist.“ Es habe sich eine „seltsame Eigendynamik“ entwickelt. Sein Sprung müsse noch nicht einmal hundertprozentig perfekt sein. Er habe, egal wie der Absprung sei, ein gutes Gefühl in der Luft: „Dann richte ich mich ein und auf einmal flieg’ ich.“ Geiger staunte selbst: „Diese Einfachheit habe ich mir schon ewig erträumt. Dass ich das jetzt auf einem so hohen Niveau zeigen kann, ist der Wahnsinn.“
Für die zwei weiteren Wettbewerbe von der Normalschanze in Seefeld gilt für Geiger: „Angriff ist die beste Verteidigung.“ Die Form zu konservieren, gehe nicht. „Da fängt man an, etwas zu verteidigen“.
Verteidigen wollte sich Geiger übrigens gestern Abend auch noch gegenüber einer Aussage von Bundestrainer Werner Schuster. Der meinte zur bevorstehenden Siegesparty: „Skispringer sind keine Säufer. Nach zwei Bier fallen die eh’ um.“ Dem widersprach der freudetrunkene Geiger – zumindest teilweise: „Okay, so richtig trinkfest sind wir nicht. Aber heute schaffen wir schon auch drei.“ Schließlich sei am Montag ja Ruhetag...
Text: Thomas Weiss, Allgäuer Anzeigeblatt, 25.02.2019